Im ersten
Teil dieser kleinen Amazon-Serie haben wir uns angesehen, was überhaupt für
ein Investment in Amazon sprechen könnte. Im zweiten
Teil haben wir gesehen, dass sich Amazon trotz nicht vorhandener Gewinne
aus operativen Cash Flows finanzieren kann. Ein Kommentator hat mich
dankenswerter Weise auf die Leasing-Verhältnisse des Konzerns aufmerksam
gemacht, die beim ersten überfliegen ausgeklammert habe. Es ist durchaus
argumentierbar, dass das was ich im letzten Teil als Free Cash Flow bezeichnet
habe, gegen Null geht, wenn man diese miteinbezieht.
Operative Cash Flows
Am Ende des zweiten Posts habe ich
die rhetorische Frage gestellt, ob man irgendeinen Teil dieser Free Cash Flows
im Sinne von Buffetts Owner
Earnings als Gewinn bezeichnen kann (Geld das man heute oder in der Zukunft
aus dem Unternehmen herausnehmen kann). Die Antwort darauf ist in meinen Augen
ein klares Nein. Ich konzentriere mich hier nicht auf den Free Cash Flow,
sondern nur auf den Cash Flow aus operativer Tätigkeit, also vor Capex und
Leasing. Die absoluten Zahlen habe ich im letzten Teil ja schon benutzt, nun
sehen wir uns an, wie sich diese zusammensetzen. Wie praktisch alle
börsennotierten Unternehmen präsentiert Amazon die Cash Flow Rechnung nach der indirekten
Methode: der operative Cash Flow wird durch das Addieren/Subtrahieren der
‚non-cash‘ Elemente in der GuV sowie der Working Capital Veränderungen zum/vom
Nettogewinn hergeleitet. Das sieht vereinfacht so aus:
Anklicken zum
Vergrößern: die Zusammensetzung des operativen CFs von Amazon absolut und in
Prozent. Quelle: Annual Reports
|
2002-2004 beinhalten einige
Sondereffekte, auf die ich hier nicht eingehen möchte. Ab 2010 stellen wir eine
eindeutige Veränderung der Zusammensetzung fest. Die drei Cash-Quellen von
Amazon heute:
Working
Capital
Das Working
Capital bei Amazon ist negativ. Das bedeutet nichts Anderes als, vereinfacht ausgedrückt
- Vorräte und Forderungen sind in Summe kleiner als Liefer- und ähnliche Verbindlichkeiten,
- Amazon generiert bei steigendem Umsatz Cash-positive Working Capital Veränderungen (z.B. indem Lieferanten erst bezahlt werden, nachdem die Ware wirklich verkauft und bezahlt wurde, was mit einem relativ schnellen Warenumschlag möglich ist).
Das ist
weder bei Groß- noch bei Einzelhändlern unüblich und ist für die Finanzierung
äußerst hilfreich, stellt aber definitiv keinen Gewinn dar. Am einfachsten ist
das so vorstellbar: würde Amazon die Geschäfte morgen einstellen, müssten Vorräte
und Forderungen liquidiert und Lieferanten bezahlt werden. Die
Nettoliquiditätssumme wäre eben negativ – dieses Geld kann man definitiv nicht
herausnehmen.
Festzuhalten
bleibt: steigende Umsätze generieren Cash-positive Working Capital
Veränderungen.
Abschreibungen
Definitiv kein Gewinn. Zumindest
auf lange Sicht müssen diese Abschreibungen durch (Erhaltungs-) Capex wieder
ersetzt werden. Man kann auch dieses Geld niemals herausnehmen. Amazon/Bezos
selbst besteht ja darauf, dass es um den ‚Long-Term-View‘ geht. Selbst wenn wir
davon ausgehen, dass die Abschreibungen beschleunigt durchgeführt werden (laut
Annual Report ist das der Fall – um Steuern zu sparen), und die momentanen
Abschreibungen etwas überhöht sind: was immer an echtem Free Cash Flow/Owner
Earnings übrigbleibt, wird wahrscheinlich durch oben erwähnte
Leasing-Verhältnisse aufgefressen.
Festzuhalten bleibt: je mehr
Amazon in neue Infrastruktur investiert, desto mehr (gewinnloser) Umsatz wird
generiert, desto mehr steigen auch die Abschreibungen. Da es sich um lange
nutzbare Assets handelt, die keinen sofortigen Erhaltungs-Capex erfordern, können
diese verzögerten Ersatzinvestitionen schon heute in Wachstums-Capex umgeschichtet
werden. Wir erinnern uns an die Serviette aus dem ersten Post. Zunehmend
handelt es sich um Geschäftsfelder, die weniger Gewinn abwerfen, als das
ursprüngliche Buchgeschäft.
Aktien-basierte
Vergütungen
Das ist
der Gipfel der Ironie. Ein Grund warum ich ‚non-GAAP-Earnings‘ in
US-amerikanischen Annual Reports nicht beachte ist der, dass aktien-basierte
Vergütungen nicht als reale Kosten dargestellt werden - sprich genau jene
Kosten, mit denen die Frauen und Herren Manager sich selbst oft nicht unüppig
entlohnen (auch wenn manche anderen Anpassungen – meiner Meinung nach -
durchaus Sinn machen).
Wie auch
bei vielen anderen Unternehmen entsteht ein großer Teil von Amazons Cash Flows
daraus, dass Ausgaben durch das Ausgeben von Aktien/Optionen bezahlt werden.
Das ist zwar non-Cash, aber halt dennoch real - die bestehenden Aktionäre
werden verwässert, was die ganze Ironie auf die Spitze treibt: aufgrund des
hohen Kursniveaus der Amazon-Aktie, ist das eine sehr vorteilhafte Art, diese
Kosten zu bestreiten. Und es ist der einzige Teil des operativen Cash Flows,
den man als Gewinn bezeichnen kann. Dieser ergibt sich jedoch nicht aus
operativer Tätigkeit, sondern nur aus der Tatsache, dass der Kurs eben so hoch
ist.
Operating expenses without stock-based compensation has limitations since it does not include all expenses primarily related to our workforce. More specifically, if we did not pay out a portion of our compensation in the form of stock-based compensation, our cash salary expense included in the “Fulfillment,” “Marketing,” “Technology and content,” and “General and administrative” line items would be higher.
Quelle: Annual Report
Zynisch
könnte man jetzt anmerken, dass Amazon wenigstens in einem Bereich verstanden
hat, wie man Gewinn macht. Aufgrund der Tatsache, dass dieser Gewinn aber eben
nicht aus operativer Tätigkeit entsteht, inkludiere ich ihn nicht in den Owner
Earnings (das ist vielleicht Geschmacksache, aber ich handhabe das eben so).
Festzuhalten
bleibt: aufgrund der Tatsache, dass sich der Amazon-Kurs offensichtlich nur
noch am Umsatzwachstum orientiert und der Gewinn egal ist, können wir davon
ausgehen, dass auch die dritte große Cash-Quelle von Amazon Umsatz-getrieben
ist.
Eine andere Sicht
Wie ich
im zweiten Post den ‚Theoretischen Gewinn‘ geschätzt habe, mag den einen oder
andern Leser verwundert haben. Viel besser wäre es doch gewesen abzuschätzen,
wie hoch die Margen sein könnten, wenn auf das starke Umsatzwachstum verzichtet
werden würde? Das mag sein. Ich glaube aber nicht, dass es realistisch ist
anzunehmen, dass diese Margen jemals höher sein werden als das, was ich da
fabriziert habe. Retailing ist kein hochmargiges Geschäft. Ein Retailer
profitiert im Prinzip von der Differenz der Groß- und Einzelhandelspreise. Mit
dieser Differenz muss er die Fixkosten abdecken können, in diesem Fall mehr
oder weniger jene Kosten die durch die Logistikaktivitäten anfallen (und auch
Drohnen gibt es nicht gratis).
(Ja ich
weiß: AWS funktioniert anders. Aber angesichts der Tatsache, dass der
Umsatzanteil von AWS unter 10% beträgt, die angeblichen ‚Operating Profits‘ von
AWS vor aktien-basierten Vergütungen ausgewiesen werden und der Großteil der
aktien-basierten Vergütungen auf Technology/Content und damit wahrscheinlich zu
einem guten Teil auf AWS entfallen, halte ich AWS für vorerst nicht wirklich
wichtig, wenn ich mir den Gesamtkonzern ansehe. Es ist halt ein weiteres Umsatzwachstumsmonster.)
Anklicken zum Vergrößern: Amazon vergibt im Schnitt 4.7% Rabatt über niedrige Versandkosten. Quelle: Annual Report 2014 |
Amazon
muss also vor allem im Bereich der Paketversendung/-Logistik um einiges
effizienter agieren als die Konkurrenz, um die den Umsatz subventionierenden
Rabatte weiterhin vergeben und dabei einen Gewinn machen zu können. Das mit dem Gewinn ist bisher nicht gelungen. Außerdem ist auch die Konkurrenz nicht auf der Nudelsuppe
daher geschwommen, baut ebenfalls Kapazitäten auf und kann allgemein als recht
effizient angesehen werden.
Alle
Investmentthesen die auf einer angeblichen ‚pricing power‘ von Amazon aufbauen,
die gehoben werden kann, wenn Amazon das so will, sind mir persönlich viel zu
schwammig. Vor allem weil Amazon das gar nicht vorhat – oben dargestellte
Rabatte sind die Grundidee des Geschäftsmodells. Sollte sich Amazon irgendwann
dazu entscheiden, doch einmal auf die Margen zu achten, könnten sie gar in
Liquiditätsengpässe geraten, weil eben alle drei Cash-Quellen direkt oder
zumindest indirekt Umsatzwachstum-abhängig sind. Die Frage wird sein, ob die
Gewinne dann schnell genug wachsen werden, um den Rückgang in diesen drei
Cash-Quellen zu kompensieren.
Conclusio
Amazon
bleibt mir weiter ein Puzzle. Eigentlich wollte ich in dieser kleinen Serie nur
versuchen zu begreifen was aktuelle Investoren in dem Unternehmen sehen, bzw.
was ich übersehe. Auf den ersten Blick liest sich die Story zwar recht gut, nach
dem zweiten Blick komme ich aber fast auf die Idee, ein paar Puts zu kaufen. Seit
dem ersten Post vor ca. 3 Wochen umso mehr: die Marktkapitalisierung ist
innerhalb dieser kurzen Zeit auf über USD 300 Mrd. angewachsen. Womit wir
wieder am Anfang dieser Serie stehen: das war bisher immer eine blöde Idee. Da
ich die These von den hohen Gewinnen irgendwann in Zukunft dennoch nicht kaufe,
bleibt absolut nichts übrig, mit dem ich ein Investment rechtfertigen könnte.
Ich
schaue mir die Entwicklung von Amazon weiterhin fasziniert an, bleibe aber an der Seitenlinie. Vielleicht
verpasse ich aufgrund meiner Konservativität wirklich ein
langfristig lukratives Investment, aber wenigstens kann ich derweil meinen
Kindle genießen.
Amazon ist mir auch ein Rätsel.
AntwortenLöschenSoweit ich es sehe ist das Amazon Modell ein einziges Unterfangen früher profitable Branchen in Non-Profit zu verwandeln.
Das Retailmodell lebt zum größtenteil davon, dass in den USA in manchen Staaten die Onlinekäufe steuerfrei sind und die US-Post unrentabel arbeitet. Wenn diese beiden Umstände sich ändern, dann gehts hier mit den Margen nochmal nach unten.
Das Cloudgeschäft ist auch Commodity. Anders als Microsoft oder IBM gibt es keine wichtigen Value-Added Services und die bisherigen Kunden werden sobald jemand noch nen günstigeren Server aufstellt wechseln.
Natürlich ist Amazon eine tolle Story vom ewig wachsenden Umsatz. Wenn aber irgendwann mal aus den neueren Techwerten an der Börse die Luft rauskommt, dann werden sich sicher einige fragen, ob hier nicht einer nackt schwimmt ;)
Gruß Ulrich
Danke für den Kommentar, Ulrich.
LöschenIch warte ja schon lange darauf, einmal eine gelungene Long-These zu Amazon in die Finger zu bekommen. Es gibt keine, die mich überzeugen würde... das Prinzip Hoffnung ist halt einfach nichts für mich ;-)
Tom
Klasse Artilkelserie, Tom!!
AntwortenLöschenWirklich gut recherchiert und verständlich erläutert - Hut ab!!
Grüße malte
Danke für den lobenden Kommentar. Ich bin selbst ja nicht so begeistert, weil ich eben zu keiner echten Conclusio komme, außer dass ich von Amazon die Finger lasse.
LöschenAber wenn es dir (oder jemand anderem) hilft über Amazon nachzudenken, oder taugt zu lesen, dann freut mich das dafür umso mehr ;-)
Gruß
Tom
Hab beim sonntäglichen stöbern deine Artikel Serie gefunden. Gefällt mir gut wie du das zusammengetragen und ausformuliert hast.
AntwortenLöschenDanke und weiter so.
Danke Hari Seldon, und schöne Grüße nach Trantor ;-)
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