Anmerkung: ich habe bisher nicht in Express Scripts investiert, und bin
mir auch noch nicht sicher, ob ich das tun werde.
Aus Teil 1:
„Was machen diese PBMs
eigentlich genau? Was ermöglicht diese phänomenalen Zahlen?
Um diese Fragen zu beantworten,
müssen wir einen tieferen Einblick in das Geschäftsmodell nehmen. Vor ein paar
Wochen hatte ich davon noch überhaupt keine Vorstellung, inzwischen bin ich
zumindest etwas klüger. Außerdem gibt es auch einige nicht zu unterschätzende
Risiken.“
Nach Wikipedia sind die Ursprünge des PBM-Geschäftes in den
1970ern und 1980ern zu suchen als, ähnlich wie in den letzten Jahren, die
Kosten im Gesundheitswesen explodiert sind. Die heutige Existenzberechtigung
der PBMs ergibt sich daraus, dass sie die Abwicklung der medizinischen
Versorgung für ihre Geschäftspartner vereinfachen
und dabei die Kosten senken.
Quelle: Express
Scripts Investor Relations
|
Alles in allem denke ich, dass
Express Scripts diese beiden Aufgaben ganz gut meistert. Es war mir allerdings überhaupt
nicht klar, wie das genau funktioniert. Hier eine Beschreibung zum Mitdenken, die in meinem Gehirn einige Knoten verursacht
hat. Eine komplexere Darstellung des Geschäftsmodells findet sich hier
(Glenn Chan). Wer lieber erst einen deutschen Text lesen möchte um
reinzukommen, dem empfehle ich die Artikel auf stock-blog.de (Erklärung anhand
von CVS Health, die auch einen PBM betreibt; hier
und hier,
inkl. Kommentare).
Geschäftsmodell
Ich möchte das Geschäftsmodell
so einfach wie (mir) möglich beschreiben, und zwar an Hand der drei großen Umsatzkategorien
von Express Scripts: network revenues,
home delivery und specialty.
Network revenues
Eine Patientin bekommt von einem
Arzt ein Rezept verschrieben. Sie
geht damit in die Apotheke. Nun
greift der PBM ein: er kauft im Auftrag der Versicherung der Patienten
das Medikament von der Apotheke und verkauft weiter an die Versicherung/Patientin
(meist mit einem Selbstbehalt für die Patientin).
So einfach sich das auch anhört,
dieser Akt ist schwierig zu verstehen (zumindest war er das für mich): warum
läuft das so?
Der eigentliche Kunde des PBMs
ist die Krankenversicherung der Patientin: der PBM wickelt die Administration
ab. Der Lieferant ist in diesem Fall die Apotheke.
Der PBM
- unterhält Beziehungen mit vielen Apotheken (deswegen Netzwerk) um eine flächendeckende Abwicklung für
- die Kunden (Krankenversicherungen, Arbeitgeber mit interner Versicherung – oder, wie im Fall von Express Scripts – auch staatliche Kunden wie das Verteidigungsministerium) gewährleisten zu können.
- Er verwaltet dabei auch die verschiedenen Pläne der Kunden (was wird bezahlt, zu welchem Selbstbehalt etc.) und
- bringt durch Analyse der vielen Daten auch Vorschläge ein, wie man diese Pläne effizienter gestalten könnte.
- Zusätzlich arbeitet er auch mit Ärzten zusammen und spricht mit diesen ab wo man ebenso wirksame, aber günstigere, Generika verschreiben kann.
Für die Apotheken
- ist der PBM ein Großkunde, der aufgrund seiner Masse Rabatte bekommt. Das klingt erst einmal blöd für die Apotheken, aber es geht ja noch weiter
- der PBM agiert für die Apotheke auch als eine Art Einkaufsgemeinschaft gegenüber den Medikamentenherstellern, so dass er gegenüber letzteren Rabatte herausholen kann.
- Diese Rabatte müssen mit den Apotheken logischerweise so geteilt werden, dass die Apotheken einen Anreiz haben, im Netzwerk mitzumachen (d.h. sie sollten im Netzwerk besser abschneiden, als wenn sie auf eigene Faust agieren).
- Was von den Rabatten der Einkaufsgemeinschaft jetzt noch übrig ist, ist der Bruttogewinn des PBMs.
Die Patientin
- sollte, wenn der PBM erfolgreich ist und die Abläufe für die Versicherung vereinfacht und dabei Kosten senkt, durch niedrigere Versicherungsbeitrage profitieren – bei mindestens gleich guter Versorgung.
Home delivery
Hier werden Medikamente
vertrieben, die der Patient über längere Zeiträume hinweg regelmäßig
einnehmen muss. Offenbar erhöht die automatische und regelmäßige Lieferung die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient sich auch an seinen ärztlich verordneten Plan hält. Der Kostenvorteil für die Versicherungen ist leicht
auszumachen: der PBM kauft in ihrem Auftrag und mit Verhandlungsmacht direkt bei den Medikamentenherstellern, wobei die
Apotheken ausgelassen werden. Einen Teil der Ersparnis schneidet der PBM wiederum als Bruttogewinn mit.
Specialty
Dies betrifft in erster Linie
Krankheiten die selten sind,
weswegen die Kosten für Medikamente relativ hoch sind. Die Versorgung mit diesen Medikamenten läuft normalerweise nicht über
Apotheken, sondern über Krankenhäuser oder spezialisierte Ärzte. Diese wiederum
operieren häufig in einer Art lokalem Monopol oder Oligopol und schlagen auf
ihre Einkaufspreise kräftig auf. Die PBMs senken die Kosten indem sie die Medikamente, wieder im Auftrag ihrer Kunden, selbst kaufen und diese Monopole/Oligopole
umgehen – wiederum mit einiger Verhandlungsmacht gegenüber den Herstellern der
Medikamente und wieder dasselbe Spiel: der PBM schneidet an der Ersparnis mit.
Wettbewerb
Die eben beschriebenen Abläufe
entsprechen natürlich dem Idealfall. Auch jemandem, der sich vorher noch nie
mit PBMs beschäftigt hat ist jetzt klar, dass es hier zu einer Fülle von Interessenskonflikten
kommen kann - und das bei unabhängigen PBMs: bei vorwärts- oder rückwärts-integrierten PBMs vervielfacht sich die
Anzahl der Möglichkeiten an Interessenskonflikten.
Glen Chann hat hier
einen Artikel verfasst, der zumindest einige Aspekte dieser Problematik
beleuchtet. Im Netz lässt sich noch mehr finden, wobei mir nicht immer klar
ist, was man glauben kann und was nicht (ich verlinke hier aus eben diesem
Grund nur Glenn Chan, weil ich den Blog regelmäßig lese und die Inhalte meines
Erachtens ganz gut recherchiert sind). Z.B. Kick-Backs, über die auch im
Geschäftsbericht von Express Scripts einiges steht, sind auf Wikipedia ganz gut
beschrieben (zwar in der Finanzbranche, aber der Ablauf ist ähnlich).
Es ist derweil nur ein Gefühl
meinerseits aber ich glaube, dass unabhängige PBMs eher in der Lage sein sollten,
diese Interessenskonflikte zu handhaben, als PBMs die integriert sind. Die
Integration von PBMs bei Medikamentenherstellern in der Vergangenheit hat sich eher
als nicht so toll erwiesen.
Größe ist offensichtlich ein
Vorteil, und zwar an mehreren Stellen.
Anzahl an Kunden
1) Verhandlungsmacht gegenüber
Medikamentenherstellern: das scheint überhaupt eines der großen Themen zu sein.
2) Verhandlungsmacht gegenüber Apotheken, die wiederum von 1) profitieren
3) Auslastung der Infrastruktur im Bereich home delivery und specialty
2) Verhandlungsmacht gegenüber Apotheken, die wiederum von 1) profitieren
3) Auslastung der Infrastruktur im Bereich home delivery und specialty
Anzahl an Apotheken im Netzwerk
4) sichert flächendeckende
Versorgung für Kunden
5) sichert wiederum 1)
5) sichert wiederum 1)
Datenpool
6) Um die Komplexität der
Regulierung zu meistern - z.B. wo können bedenkenlos
Generika verwendet werden
Das erklärt wahrscheinlich zum
größten Teil den Trend zur Konsolidierung in der Branche. Weiters erklärt es
auch zum Teil, warum so viele Player in der Branche interessiert daran sind,
ihre eigene PBM-Sparte zu führen anstatt diese Aktivitäten auszulagern. Vor
allem vor dem Hintergrund, dass Medikamente immer teurer zu werden scheinen,
und PBMs damit hochprofitabel sind (hier muss ich meine Aussage aus dem ersten
Teil widerrufen, wonach die Medikamentenpreise für die PBMs egal zu sein scheinen).
Konsolidierung/Integration
rentiert sich umso mehr (a) je höher die Preissteigerungen in den Medikamenten
sind, und (b) je komplexer die Administrierungsaufgaben sind.
Zu (a)
Wenn der Bruttogewinn von Rabatten abhängt, was oft in Prozenten ausgemacht
wird, steigt der Bruttogewinn mit den Medikamentenpreisen. Das scheint mir eine
logische Erklärung für die Explosion in den Bruttogewinnen pro Claim in den
letzten Jahren parallel zum Anstieg in den Medikamentenpreisen. Der PBM agiert,
anders gesehen, ähnlich wie eine Maut-Stelle die bei jeder Transaktion allerdings einen Prozentsatz mitschneidet.
Zu (b)
Am einfachsten ist das in den Extremen zu sehen: eine einzelne
Dorf-Apotheke wird kaum über die Datenmengen und/oder Analyse-Kapazitäten
verfügen, um immer up-to-date zu sein. Die logische Lösung ist, in einem PBM-Netzwerk
mitzumachen. Angesichts der Tatsache, dass Bürokratien/Regulierungen dazu
neigen, eher komplizierter zu werden als einfacher, dürfte dies für PBMs eher
positiv sein. Ähnliches gilt auch für kleinere, regionale Versicherungen –
Express Scripts beschäftigt immerhin rund 26.000 Menschen.
Tatsächlich sieht Express Scripts, wie im Geschäftsbericht nachzulesen, hierin
eine ihrer besonderen Stärken neben der Größe/Verhandlungsmacht.
Das wirklich komplizierte ist, die Interessenskonflikte zu lösen und die Einsparungen innerhalb der involvierten Parteien fair zu verteilen.
- Die Apotheke muss besser abschneiden als ohne Netzwerk
- Die Versicherung muss besser abschneiden als ohne PBM (oder mit integriertem PBM, sonst macht sie das selbst)
- Dabei darf sich keiner unfair behandelt fühlen.
- Außerdem, und das ist nicht zu unterschätzen, sollten unlautere Praktiken vermieden werden. Auf lange Sicht ist es einfach so: irgendwann wird man erwischt. (Express Scripts hat bisher anscheinend vergleichsweise wenig Strafen bezahlt: d.h. sie sind entweder ehrlicher, oder sie vertuschen besser... ich denke ersteres, aber wissen kann man so etwas nie. Vor einem evtl. Kauf möchte ich das auf jeden Fall noch prüfen, so gut möglich.)
- Was übrigbleibt ist der Bruttogewinn für den PBM
- Genau genommen muss für den Medikamentenhersteller auch noch etwas übrigbleiben, den ich bisher ja nicht wirklich beachtet habe – Rabatte haben irgendwo Grenzen.
1) Für Großkunden rentiert es
sich, PBM-Aufgaben selbst zu übernehmen.
- Ein Beispiel ist UnitedHealth mit dem Aufbau einer eigenen PBM-Sparte. Das war der Hauptgrund für den Rückgang im Geschäftsvolumen von Express Scripts von 2013 auf 2014.
- Ein weiteres Beispiel ist Anthem, momentan größter Kunde von Express Scripts, die öffentlich Druck aufbaut (in meinen Augen ein no-go) und mit PBM-Wechsel oder in-sourcing der PBM-Aktivitäten droht. Anthem ist der Hauptgrund für den Kursrückgang der Express Scripts Aktie im Januar.
- Ein anderes Beispiel wäre CVS Health (siehe stock-blog.de): PBM in-house.
Das Großkunden-Geschäft von Express Scripts scheint unter
Druck zu sein.
2) Für kleinere Kunden werden
starke unabhängige PBMs aber umso wichtiger.
- Ich kann mir nicht vorstellen, dass kleinere Kunden, die die Kapazitäten für in-sourcing nicht haben, ihre PBM-Dienstleistungen einem größeren Konkurrenten überlassen wollen.
- Nicht-Versicherungen, wie z.B. größere Arbeitgeber, die selbst als ihr eigener Krankenversicherer für ihre Arbeitnehmer agieren oder eben das Verteidigungsministerium, könnten eher ein Ziel für integrierte PBMs sein.
- Wenn wir diesem Artikel (2011) glauben schenken dürfen, ist die Performance dieser integrierten PBMs in dieser Hinsicht, historisch gesehen, allerdings eher dürftig.
Kurz- bis mittelfristig könnte für
Express Scripts noch einiger Ärger bevorstehen, wenn z.B. mit Anthem wirklich
keine Einigung erzielt wird. Langfristig sehe ich Express Scripts allerdings
als einen vielleicht fast unersetzlichen Partner für kleinere Player.
Conclusio
Ich habe gehofft, dass mir das
Zusammenschreiben dieser beiden Artikel bei meiner Entscheidungsfindung hilft. Irgendwie
hat es das auch – ich habe mich entschieden, noch nichts zu entscheiden.
- Auf der einen Seite ist das Unternehmen extrem wichtig für den Erfolg seiner Kunden und die Aktie von Express Scripts scheint mir halbwegs vernünftig bewertet. Auf der anderen Seite sehe ich die Möglichkeit, dass ein großer Teil des Geschäftsvolumens durch PBM-Integration vonseiten großer Kunden verloren gehen könnte.
- Wenn es wirklich so kommt, dass erst einmal ein paar Großkunden verloren werden, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob die Aktie so günstig ist, wie ich glaube…
- Auf der einen Seite traue ich dem Management zu - CEO Paz hat in den letzten Jahren meines Erachtens großartige Arbeit geleistet, auch und vor allem in der Kapital-Allokation (wo ich mir mit der Beurteilung etwas leichter tue) - mit neuen Herausforderungen fertig zu werden. Auf der anderen Seite, tritt eben genau dieser CEO bald in die Pension ab. Es kommt also erst einmal ein Neuer (wahrscheinlich intern und ähnlich ausgerichtet, aber trotzdem…).
- Über all dem schwebt auch immer die Möglichkeit, dass die Regulierungsbehörden das Geschäftsmodell ins Wanken bringen können, denn der Bereich ist sehr stark reguliert.
- Das ist auf jeden Fall eines der kompliziertesten Geschäftsmodelle, die ich je analysiert habe. Und das obwohl die eigentliche Finanzanalyse (siehe Teil 1) so furchtbar einfach ausgesehen hat...
Fürs Erste werde ich also nicht
investieren, und das Alles (wie erwähnt, ich beschäftige mich noch nicht lange
mit PBMs) einsickern lassen müssen. Ein etwas niedrigerer Kurs könnte mich evtl.
umstimmen, wobei ich derweil selber nicht genau quantifizieren kann, wo dieser
sein müsste…
Quellen
Quellen aus Teil 1 +
P.S.: Ich habe stock-blog.de in die (deutsche) Blog-Liste
auf der rechten Seite übernommen. Ich habe erst ein paar Einträge gelesen, aber
die fand ich ganz gut.